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10.10.2007 - Kontakt zu Arthur Poznanski, Überlebender des KZ Flößberg

Er ist gerade auf dem Weg zurück ins "Kleine Ghetto" von Piotrkow als ihm ein Mitglied der Ghettopolizei einen Zettel in die Hand drückt. Es ist eine Nachricht von seiner Mutter mit Bleistift in aller Eile geschrieben auf ein schmales Stück Papier: "Als ich es öffnete und zu lesen begann, war ich wie betäubt, als ich langsam begriff, dass meine Eltern und mein jüngster Bruder Tadzio abgeholt worden waren."* Es ist ein Tag im Oktober 1942. Arthur Poznanski ist noch keine fünfzehn Jahre alt.

Stundenlang bleibt er weinend auf einem Stein sitzen, die letzten Zeilen seiner Mutter wieder und wieder lesend. Es ist eine traumatische Erfahrung. Erst vierzig Jahre später wird er wieder fähig sein, zu weinen. Seine Mutter hat ihm aufgegeben für sich und seinen jüngeren Bruder Jerzyk zu sorgen. Sie selbst, wird wie ihr Mann und ihr jüngstes Kind in Auschwitz ermordet. Überleben heißt im Ghetto arbeiten. Zum Zeitpunkt der Deportation seiner Eltern schuftet Arthur Poznanski bereits seit mehr als einem Jahr täglich in einer Glasfabrik nahe des Ghettos von Piotrkow. Im Winter 1942 wird er zur Arbeit in den Kara-Werken, ebenfalls eine Glasfabrik, verpflichtet. Einmal wird er zu einer besonders perfiden Arbeit herangezogen. Er muss die verlassenen Wohnungen deportierter Juden ausräumen. Die Wertsachen gehen nach Deutschland. Fotos, Tagebücher, persönliche Erinnerungen muss er unter Aufsicht verbrennen, die Identität der Deportierten damit auslöschen.

Mit dem Vormarsch der Roten Armee werden die Produktionsstandorte im besetzten Polen ins Deutsche Reich zurückverlagert. Auch die Arbeitssklaven und KZ-Häftlinge werden verschickt. Hierbei wird er von seinem Bruder Jerzyk getrennt, für den er bis dahin gesorgt hatte. Arthur Poznanski gelangt über das Konzentrationslager Buchenwald Ende 1944 zunächst nach Schlieben. 

Am 17.Februar 1945 kommt er mit fast 600 weiteren Häftlingen schließlich nach Flößberg. Hierzu schreibt er: "Mit jedem Transfer verschlechterten sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen zunehmend und der Hunger wurde immer größer." *
Im April wird das Lager Flößberg evakuiert. Angesichts der geringen Überlebenschancen, entschließt sich Arthur Poznanski auf dem Transport zur Flucht, die unter dramatischen Umständen gelingt.

Seine Geschichte wurden erstmals im Buch "The Boys: The untold story of 732 Young Concentration Camp Survivors" von Martin Gilbert (1997) veröffentlicht. Darauf aufmerksam gemacht hatte uns Stefanie Dannhauer, die mit einer Arbeitsgruppe die Geschichte des HASAG-Standortes Schlieben aufarbeitet. Nach Internetrecherchen konnten wir nun Kontakt zu Arthur Poznanski herstellen.

Arthur Poznanski studierte nach dem Krieg in England Gesang und wurde professioneller Sänger. Später übernahm er einen Synagogenchor, den er noch immer leitet. Gemeinsam mit seiner Frau Renee hat er zwei beruflich erfolgreiche Kinder. Sein Bruder Jerzyk überlebte den Holocaust ebenfalls, verstarb jedoch bereits im Mai 1995. Arthur Poznanski lebt nun in der Nähe von London. Zur Zeit schreibt er an seinen Memoiren. Wir sind sehr froh, dass wir Kontakt zu ihm herstellen konnten und bleiben in Verbindung.

* Zitate aus: Gilbert, Martin. 1997. "The Boys: The untold story of 732 Young Concentration Camp Survivors." New York: Henry Holt (Übersetzung: Stefan Walter)

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